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Es ist ein Signal mit Wucht – für Berlin, für die Energiewende, für die Heizkraftwerke und Industrie der Hauptstadt: Die Bundesnetzagentur hat entschieden, dass über 50 Kilometer des Berliner Gasnetzes Teil des künftigen Wasserstoff-Kernnetzes werden. Die Energiewende in Berlin nimmt damit eine neue Richtung – mit Hochdruckleitungen, die künftig nicht mehr Erdgas, sondern Wasserstoff transportieren.
Was auf den ersten Blick wie ein rein technischer Vorgang erscheinen mag – die Aufnahme zweier Gasleitungen ins bundesweite H2-Kernnetz – ist in Wahrheit ein strategischer Meilenstein. Denn diese Entscheidung bedeutet nicht weniger als: Berlin wird direkt an die nationale Wasserstoff-Infrastruktur angebunden. Und das könnte darüber entscheiden, wie erfolgreich die Hauptstadt bei der Dekarbonisierung ihrer Energieversorgung bis 2045 wirklich sein wird. Insbesondere für die Heizkraftwerke der Stadt ist der Zugriff auf Wasserstoff eine Notwendigkeit, um eine vollständige Dekarbonisierung der Fernwärme zu ermöglichen.
Bereits heute ist die GASAG-Gruppe mit ihrer Tochtergesellschaft NBB Netzgesellschaft Berlin-Brandenburg für ein rund 7.000 Kilometer langes Berliner Gasverteilnetz verantwortlich. Zwei besonders leistungsstarke Hochdrucktrassen – eine im Osten, eine im Westen der Stadt – wurden in den vergangenen Jahren gezielt auf ihre H2-Tauglichkeit geprüft. Nun hat die Bundesnetzagentur den Antrag auf Integration dieser Leitungen in das nationale Kernnetz bewilligt. Die Leitungen sind damit Teil der sogenannten Wasserstoff-Autobahn, die neben dem Stromnetz das künftige Energiesystem Deutschlands tragen soll.
„Die Aufnahme unserer Hochdruckleitungen ins nationale Wasserstoff-Kernnetz bringt uns die dringend erforderliche Planungssicherheit – und dem Land Berlin eine verlässliche Grundlage für seine kommunale Wärmeplanung“, sagt Georg Friedrichs, Vorstandsvorsitzender der GASAG AG.
Tatsächlich geht es um mehr als Planungssicherheit: Es geht um Tempo. Denn Berlin steht unter Druck – politisch, wirtschaftlich und klimapolitisch. Die Hauptstadt hat sich vorgenommen, bis spätestens 2045 klimaneutral zu sein. Die Fernwärmeversorgung die derzeit noch stark abhängig von fossilen Brennstoffen ist, gilt dabei als größte Baustelle.
Ein Großteil der Berliner Wohnhäuser – rund 1,3 Millionen – ist an das Fernwärmenetz angeschlossen. Die Wärme wird bislang vor allem in gasbefeuerten Heizkraftwerken erzeugt, betrieben durch die BEW Berliner Energie und Wärme GmbH. Diese Kraftwerke zählen zu den größten Energieverbrauchern der Stadt und stellen sicher, dass auch bei großer Kälte und niedriger Einspeisung aus Erneuerbaren zuverlässig Wärme für das Fernwärmesystem bereitgestellt werden kann. Fünf der Kraftwerks-Standorte haben heute eine Gas-Anschlussleistung von mehr als 500 Megawatt.
Die gute Nachricht: Mit der Umstellung dieser Kraftwerke von Gas auf Wasserstoff könnte über die Fernwärme ein Fünftel der Jahreswärmemengen für Berlin klimaneutral erzeugt und als Bonus noch klimaneutraler Strom erzeugt werden. Die Entscheidung der Bundesnetzagentur ermöglicht genau diesen Schritt, denn sie stellt sicher, dass die benötigte Wasserstoff-Infrastruktur bis 2032 bereitgestellt wird.
Wasserstoff wird im künftigen Berliner Energiesystem eine doppelte Rolle spielen: Als gesicherte Leistung im Strom- und Wärmesektor und als Brennstoff für industrielle Prozesse. Denn während Wind- und Solarenergie wetterabhängig schwanken, kann Wasserstoff gespeichert und bei Bedarf zur Strom- und Wärmeerzeugung eingesetzt werden. Insbesondere in den Wintermonaten, wenn der Stromverbrauch steigt und die Erneuerbaren nicht ausreichen, wird er zur Rückversicherung der Versorgung – und zwar für Strom genauso wie für die Wärme.
Zentral ist dabei der Einsatz in der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK): Hier wird Wasserstoff nicht nur in Strom, sondern zugleich in nutzbare Leitungswärme umgewandelt – mit hoher Effizienz. Die Abwärme lässt sich einfach in bestehende und künftig neu zu bauende Wärmenetze einspeisen, was die Dekarbonisierung der Wärme voranbringt.
Auch aus Sicht der Versorgungssicherheit wird Wasserstoff künftig unverzichtbar. Berlin wächst jedes Jahr um mehrere zehntausend Menschen. Die Stromnetze stoßen an ihre Grenzen. Wasserstoff wird helfen, die Last zu verteilen – als drittes, unverzichtbares Standbein neben Strom und lokalen Erneuerbaren-Potentialen.
Spannend ist: Die Wasserstoff-Zukunft baut auf einer Vergangenheit auf. Das Berliner Gasnetz, das einst für Stadtgas entwickelt und dann auf Erdgas umgestellt wurde – wird nun erneut transformiert. Die vorhandene Infrastruktur wird umgenutzt, angepasst und punktuell erweitert. Ein Verfahren, das nicht nur Kosten spart, sondern auch Bürgerproteste vermeidet. Denn neue Trassen durch Wohngebiete wären nicht nur teuer, sondern auch konfliktträchtig.
Die NBB will deshalb möglichst viele bestehende Leitungen ertüchtigen – durch spezielle Prüfverfahren, neue Werkstoffe und Anpassungen an die Betriebstechnik. Dabei greift sie auf Erkenntnisse zurück, die im Rahmen von Pilotprojekten und Materialtests in ganz Europa gesammelt wurden.
Gleichzeitig plant das Unternehmen, im Schulterschluss mit der GASAG-Gruppe und der Senatsverwaltung, ein umfassendes Wasserstoffnetz für Berlin zur Versorgung von Großverbrauchern. Erste Entwürfe liegen vor, Gespräche mit Industrie und Wissenschaft laufen. Klar ist: Der Aufbau wird Jahre dauern – aber er hat nun einen verlässlichen Rahmen.
Dass Berlin vom H2-Kernnetz profitieren wird, ist auch ein wirtschaftliches Signal. Immer mehr Unternehmen fragen bei der Standortwahl nicht nur nach Breitband, sondern nach Dekarbonisierungsoptionen. Eine verlässliche Wasserstoff-Infrastruktur wird zum Wettbewerbsfaktor.
„Wir sehen, dass Investoren gezielt in Regionen gehen, in denen Wasserstoff verfügbar sein wird“, erklärt ein Sprecher der IHK Berlin. „Für Berlin als Innovations- und Industriestandort ist das H2-Kernnetz ein echter Standortvorteil.“
Zugleich hat Berlin als Hauptstadt eine besondere Rolle: Als politische Schaltzentrale der Republik steht die Stadt unter Beobachtung. Ob die Wärmewende gelingt, ob der Aufbau der H2-Infrastruktur bürgernah und effizient erfolgt – all das wird bundesweit als Gradmesser gelten. Scheitert Berlin, droht ein Glaubwürdigkeitsverlust für das ganze Land. Gelingt der Umbau, kann Berlin zum Vorbild werden – für Düsseldorf, Hamburg, Stuttgart.
Mit der Entscheidung der Bundesnetzagentur ist ein entscheidender Schritt getan: Berlin ist ans Wasserstoff-Kernnetz angeschlossen. Doch der Weg zur Wasserstoffmetropole ist lang. Es braucht Investitionen, politische Verlässlichkeit, ingenieurtechnische Exzellenz – und die Bereitschaft, auch unbequeme Entscheidungen zu treffen.
Energieexperten sprechen von einem „Jahrhundertprojekt“. Die GASAG-Gruppe und ihre Netzgesellschaft NBB sind bereit, diesen Weg zu gehen. Und sie tun es in einem Tempo, das man in Berlin nicht immer gewohnt ist.
Oder, wie es Maik Wortmeier formuliert: „Wir haben Lösungen für die Energiewende und wir wollen Realitäten schaffen.“