Intuitiv, schnell und immer aktuell - jetzt Handelsblatt App installieren.
- FinanzvergleichAnzeige
- ProduktvergleichAnzeige
Quantentechnologie verlässt das Labor: Milliarden fließen in Start-ups, erste Anwendungen entstehen – und Europa hat die Chance, eine führende Rolle einzunehmen. McKinsey-Experten erklären, worauf es jetzt ankommt.
Forschende arbeiten an einem Quantencomputer, dessen Möglichkeiten weit über die klassischer Rechner hinaus gehen. So hat die Technologie das Potenzial, besonders komplexe Probleme zu lösen. Foto: Adobe Stock
Wir leben im Jahr der Quantenwissenschaft – ausgerufen von den Vereinten Nationen. Hinter der symbolischen Geste steckt ein technologischer Umbruch von enormer Tragweite. War Quantentechnologie lange ein Thema für Visionäre und Forscher, steht sie nun vor dem Sprung in die industrielle Praxis. Dabei entsteht ein Markt, dessen Volumen das Beratungsunternehmen McKinsey in seinem aktuellen Quantum Technology Monitor für 2035 auf 100 Milliarden Dollar beziffert.
„Entscheidend dafür sind anhaltende Investitionen“, erklärt Martina Gschwendtner, Beraterin bei McKinsey. Den bisherigen Höchststand markiert das Jahr 2024: Die weltweiten Investitionen in Quanten-Start-ups stiegen um 50 Prozent auf zwei Milliarden Dollar. Während sich private Geldgeber zurückhielten, stockten Regierungen rund um den Globus ihre Förderungen auf. Ein Trend, der sich 2025 fortsetzt: Japan etwa hat bereits ein mehrjähriges Programm über 7,4 Milliarden Dollar angekündigt.
Gute Nachrichten für Quanten-Start-ups, denn ihre Gründerinnen und Gründer brauchen viel Kapital. Das gilt insbesondere dann, wenn sie neuartige Hardware entwickeln, etwa supraleitende Qubits, kryogene Systeme oder komplexe Steuerelektronik. „Kippt das Investitionsklima, geraten viele dieser Projekte ins Stocken“, warnt McKinsey-Partner Henning Soller.
Revolutioniert die Rechenleistung: Quantencomputer nutzen Qubits, die dank Superposition und Verschränkung komplexe Probleme lösen können – etwa in der Chemie- und Finanzindustrie oder im Healthcare-Bereich.
Sichere Datenübertragung auf Basis physikalischer Gesetze: Mit Verfahren wie Quantum Key Distribution (QKD) lassen sich Abhörversuche zuverlässig erkennen. Besonders relevant für Cybersicherheit, Behörden und kritische Infrastrukturen.
Extrem präzise Messungen von Zeit, Gravitation oder Magnetfeldern: Anwendungen reichen von Navigation ohne GPS über medizinische Diagnostik bis zur Materialprüfung.
Doch Geld allein reicht nicht. Entscheidend ist, dass Hardware-Anbieter realistische Entwicklungspläne verfolgen, sagt Gschwendtner – etwa zur Leistungsfähigkeit von Quantencomputern, die neben Quantensensorik und Quantenkommunikation zu den drei Säulen der Quantentechnologie gehören. Ebenso braucht es konkrete industrielle Anwendungen, damit Unternehmen die Technologie übernehmen. Und nicht zuletzt kommen Forschung und Entwicklung ohne qualifizierte Fachkräfte nicht voran.
Denn der Fokus verlagert sich: weg von Hardware, hin zu Software und Anwendungen. Immer mehr Start-ups konzentrieren sich auf Quantenalgorithmen und branchenspezifische Lösungen. Damit wächst die Hoffnung auf den „Quantum Day“ – jenen Moment, in dem Quantencomputer gegenüber klassischen Rechnern erstmals einen echten Anwendungsvorteil bieten. McKinsey erwartet diesen Wendepunkt laut aktuellem Quantum Technology Monitor um 2030.
Erste Anwendungsfelder zeichnen sich bereits ab. „Der Quantencomputer ist prädestiniert, die Rechenleistung für immer komplexere KI-Modelle zu liefern“, erklärt Gschwendtner. Umgekehrt hilft Künstliche Intelligenz (KI) schon heute bei der Kalibrierung von Quantenprozessoren. Beide Technologien befruchten einander – und könnten gemeinsam eine neue Ära digitaler Wertschöpfung einläuten.
Auch in der Robotik entstehen neue Möglichkeiten, von präziserer Navigation durch Quantensensorik bis zur sicheren Quantenkommunikation zwischen Maschinen. Letztere könnte etwa die Authentifizierung von Robotern absichern oder ihre Interaktion in Echtzeit verschlüsseln. Vielversprechend ist der Einsatz von Quantentechnologien außerdem beispielsweise in der Pharma- und Chemieindustrie, in der Materialforschung, der Logistik oder der Energiewirtschaft.
Im Rennen um die ersten einsatzfähigen Quantenanwendungen ist Europa präsent – zumindest auf dem Papier. Acht der 19 Quanten-Start-ups, die 2024 gegründet wurden, stammen aus der Europäischen Union. Allein Deutschland hat in den vergangenen Jahren über drei Milliarden Euro in Quantentechnologie investiert. Auch die akademische Exzellenz der Bundesrepublik auf diesem Feld ist unbestritten: Sie gehört zu den führenden Nationen bei Physik-Promotionen und wissenschaftlichen Publikationen.
Das Problem: „Europa hat viele exzellente Start-ups, aber kaum skalierte. Es fehlt an gezielten Investitionen, um echte Champions hervorzubringen“, sagt Soller. Ein Defizit, das sich durch akademische Exzellenz nicht ausgleichen lässt, wie das Beispiel Deutschland zeigt: „Wir haben viele Talente, aber kaum Unternehmen, in denen sie arbeiten können.“
Dabei wäre eine starke industrielle Basis gerade jetzt entscheidend – nicht nur, um wirtschaftlich mitzuhalten, sondern auch, um sicherheitspolitisch gewappnet zu sein. Denn mit den Chancen der Quantentechnologie wachsen auch Risiken. Kaum ein Aspekt wird derzeit so intensiv diskutiert wie die möglichen Folgen für die Cybersicherheit: Leistungsfähige Quantencomputer könnten gängige Verschlüsselungsverfahren wie RSA in Minuten knacken – mit potenziell dramatischen Folgen für Unternehmen, Behörden oder Finanzsysteme.
Die gute Nachricht: „Quantentechnologie ermöglicht zugleich eine Verschlüsselung, die sich per Naturgesetz nicht knacken lässt“, sagt Soller. Gemeint ist die sogenannte Quantum Key Distribution (QKD). Sie beruht auf den Prinzipien der Quantenphysik und verhindert das unbemerkte Ausspähen von Daten. Die Herausforderung liegt im Übergang: Während klassische Systeme noch dominieren, müssen Unternehmen bereits heute in Post-Quantum-Kryptografie investieren – um morgen nicht angreifbar zu sein.
Fest steht: Die Quantentechnologie steht am Wendepunkt. Noch ist vieles Vision, doch die Grundlagen für eine neue industrielle Ära sind gelegt. „Europa hat das Know-how, um auch künftig im globalen Wettbewerb zu bestehen“, betont Soller. „Jetzt braucht es Kapital, Mut – und eine kluge Strategie.“