Mehr Zeit, mehr Kreativität: Eine generative KI-Lösung bündelt Wissen aus verschiedensten Quellen von McKinsey & Company. Welche Vorteile das bringt – und was das Beratungsunternehmen bei der Entwicklung von Lilli gelernt hat.
Wäre Lilli ein Mensch, gälte sie in der Beratungsbranche als High Potential. Denn der Neuzugang steht nicht nur rund um die Uhr zur Verfügung, sondern kann sein unerschöpfliches Wissen zudem sekundenschnell abrufen. Seit August 2023 profitieren alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei McKinsey von Lillis Fähigkeit, Teams weltweit Zugriff auf die gesammelte Expertise der Unternehmensberatung zu verschaffen.
Lilli, benannt nach der ersten Beraterin Lilli Dombrowski, die McKinsey im Jahr 1945 einstellte, ist eine generative Künstliche Intelligenz (KI). Die KI-Plattform wurde entwickelt, um Zeit und Kapazität freizuschaufeln sowie neue Fähigkeiten bereitzustellen. Zentrales Ziel: schnell zu einem sehr guten ersten Entwurf zu kommen.
In dieser Hinsicht erkennt McKinsey-Partner Holger Hürtgen in dem KI-Tool ein hohes Potenzial. „Wissen ist die Lebensader von McKinsey“, betont der Co-Leiter von QuantumBlack, dem KI-Beratungsarm von McKinsey & Company in Deutschland. Dieses Wissen steckt allerdings in mehr als 135 Arten von Quellen, beispielsweise Artikel und Studienreports, internen Dokumenten, digitale Lösungen und Experten aus über 70 Ländern. Deshalb sei es in der Vergangenheit zeitraubend gewesen, beim Projektstart den Überblick über relevante Informationen und Ansprechpartner zu gewinnen, erklärt Hürtgen: „Zwei Wochen Recherche waren normal – Lilli verkürzt diese Zeitspanne nun deutlich.“
Die konkrete Funktionsweise der generativen KI (genAI) beschreibt Matthias Roggendorf, Partner aus dem Berliner McKinsey-Büro und neben Hürtgen der zweite Co-Leiter von QuantumBlack: „Stellt ein Benutzer eine Frage, durchforstet Lilli unser Wissensarchiv, wählt relevante Quellen aus, fasst diese zusammen und findet sogar Experten, die Teams aktivieren können.“ Neben der Suche im McKinsey-Wissensbestand bietet die Plattform auch einen zweiten Modus für die Suche in externen Quellen, genau wie die öffentlichen millionenfach genutzten KI-Chatbots ChatGPT, Le Chat oder Gemini.
Doch die Stärken des genAI-Tools liegen nicht allein in der Recherche. Viele Kollegen nutzten Lilli als eine Art Sparringspartner vor Meetings und Präsentationen, so Hürtgen. Sie suchten auf diese Weise nach Schwachstellen in ihrer Argumentation und könnten mögliche Fragen besser vorhersehen. „So steigern wir die Qualität unserer Beiträge und sparen – wieder – Zeit“, sagt Hürtgen.
Neben solchen Produktivitätssteigerungen hilft die Künstliche Intelligenz, neue Sichtweisen auf Probleme zu finden und so zu besseren Lösungen zu kommen. Ein Kollege aus dem Bereich Life Sciences habe nach Wegen gesucht, ein Produkt sehr präzise herzustellen, so Hürtgen. Passende Methoden suchte er vor allem in der Pharmabranche oder bei Herstellern von Düsentriebwerken. „Lilli präsentierte als Vorbild stattdessen ein Gerät zur Messung der Lackdicke – das war unerwartet, aber sehr hilfreich“, berichtet Hürtgen.
Damit die digitale Kollegin nun derart hilfreich sein kann, musste das Entwicklerteam einige Hürden überwinden. So steckt ein bedeutender Teil des Wissens der Berater in Präsentationen, die Lilli zu Beginn nicht vollständig lesen konnte. „Wir konnten nur etwa 15 Prozent einer Präsentation analysieren. Wir mussten ein eigenes Werkzeug entwickeln, um diesen Wert auf mehr als 85 Prozent zu steigern“, erklärt Roggendorf.
Während der fast ein Jahr lang dauernden Lilli-Entwicklung haben die McKinsey-Experten Erkenntnisse gewonnen. Fünf Prinzipien legen sie auch Unternehmensverantwortlichen ans Herz, die KI-Technologien nutzen wollen:
Grundregeln, deren Anwendung sich für McKinsey auszahlt: Laut Angaben des Unternehmens hat Lilli bereits mehr als vier Millionen Anfragen beantwortet und wird von mehr als 75 Prozent der Mitarbeiter genutzt. Dies führt bei durchschnittlichen Beratern zu einer Zeitersparnis von etwa 30 Prozent, was nach Einschätzung Hürtgens ein hoher Wert ist.
Es sei jedoch wichtig zu beachten, dass allein die Bereitstellung einer KI-Plattform nicht ausreiche, um deren Nutzung erfolgreich zu machen. Effektives Change Management sei entscheidend. „Wenn Unternehmen nicht in der Lage sind, Verhaltensänderungen im Umgang mit der Technologie umzusetzen, werden sie keine Vorteile daraus ziehen können“, sagt Hürtgen. Um eine Zeitersparnis im Bereich von 30 Prozent zu erzielen, seien Veränderungen in der Art der Arbeit, der Anzahl der Mitarbeiter oder der Interaktion mit Informationen unabdingbar.