Der Übergang zur Circular Economy schafft neue Geschäftsmodelle für Gründer. McKinsey-Experten sehen enormes Wertschöpfungspotenzial, benennen wesentliche Wachstumsfelder – und betonen den Wert von Partnerschaften.
Start-ups arbeiten an neuen Recyclingverfahren und digitalen Lösungen, die den Weg zur Kreislaufwirtschaft ebnen. (Foto: Adobe Stock)
Ein schonender Umgang mit Ressourcen dient nicht nur dem Umwelt- und Klimaschutz, er macht in Zeiten knapper Rohstoffe zudem unabhängiger von teuren Importen. Kein Wunder, dass die Nachfrage nach wiederverwendbaren Materialien wächst: Erhebungen des Beratungsunternehmens McKinsey zufolge zählt Nachhaltigkeit für annähernd die Hälfte der Europäerinnen und Europäer zu den wichtigsten Kaufkriterien, der Bedarf an recycelten Rohstoffen in der Produktion wird Prognosen zufolge schon bald das Angebot übersteigen.
Zugleich ist Europa allerdings von einer echten Circular Economy, in der Produkte und Materialien so lange wie möglich wiederverwendet und recycelt werden, noch weit entfernt: So landen beispielsweise zwei Drittel aller gebrauchten Plastikverpackungen, Kleidungsstücke und Heimtextilien in der Müllverbrennung – und sind damit für das Recycling zu Sekundärrohstoffen verloren. Auch in Deutschland wird bislang weniger als die Hälfte der ausgedienten Produkte recycelt.
Dabei bietet das Konzept der Kreislaufwirtschaft laut einer McKinsey-Analyse enorme ökonomische Chancen: „Wir schätzen das jährliche Wertschöpfungspotenzial allein in der europäischen Konsumgüterindustrie auf rund eine halbe Billion Euro“, erklärt Stefan Helmcke, als Co-Leiter der globalen Sustainability Practice bei McKinsey für die Entwicklung von Nachhaltigkeitsstrategien verantwortlich. Eine Gelegenheit nicht nur für etablierte Unternehmen, sondern vor allem auch für Start-ups.
Tatsächlich bieten etliche junge Unternehmen bereits Lösungen entlang der Wertschöpfungskette der Circular Economy. „Digital aufgestellte Gründerunternehmen finden sich derzeit vor allem in den Segmenten Wiederverwendung und Nachverfolgung, gefolgt von Produktnutzung und Produktion“, erklärt Niko Mohr, Digitalisierungsexperte und Partner bei McKinsey.
Zum breiten Spektrum ihrer Angebote gehören beispielsweise Apps wie Momox oder Vinted für den Secondhand-Markt sowie Sharing-Lösungen wie Grover, aber auch digital nachverfolgbare Mehrwegsysteme im Verpackungssegment, Lösungen zur Lieferketten-Optimierung in der Bau- und Modeindustrie oder KI-gestützte Planungstools zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung. Auch im Bereich der Materialherstellung und Rückgewinnung sind Start-ups als Anbieter von Verfahrenstechnologien – etwa zum Batterierecycling – vertreten.
Gerade hier machen die Autoren der Analyse künftige Wachstumsfelder für digitale Lösungen aus. „Derzeit setzt die hiesige Kreislaufwirtschaft noch stark auf nicht-digitale Verfahrenstechnologien“, sagt Nachhaltigkeitsexperte Helmcke. Nicht ungewöhnlich für Deutschland, wo Ingenieurlösungen die Basis der Wertschöpfung bilden. Mit zunehmendem Reifegrad verringert sich jedoch der Innovationsvorsprung dieser Technologien – Know-how wird aufgeholt, Patente laufen ab.
Helmckes Prognose lautet daher: „Das Wertpotenzial der Kreislaufwirtschaft wird sich zunehmend in den oberen Bereich der Technologieskala verlagern: hin zu Softwarelösungen und Apps, Benutzerschnittstellen und digitalen Services.“ Er verweist auf Unternehmen, die bereits heute vormachen, dass in bisher analog geprägten Geschäftsfeldern digitale Lösungen chancenreich sind. Zu ihrem Angebot zählen Plattformen zum Auffinden kreislauffähiger Materialien, Software zur Unterstützung zirkulärer Mode- und Textildesigns oder Marktplätze für Reststoffe und Abfallmanagement mit intelligenter Steuerung nach Qualitäts- und Verunreinigungsgraden.
Digitalisierungs-Experte Mohr ist überzeugt: Wer durch digitale Lösungen Kundennutzen schafft, hat gute Chancen, sich im Zukunftsfeld der Circular Economy langfristig zu behaupten und weiter zu wachsen. Ebenso entscheidend für langfristigen Erfolg seien starke Partnerschaften mit etablierten Unternehmen, die eine Skalierung des eigenen Geschäftsmodells etwa durch Abnahmeverträge erlauben.
Ein Modell, das beiden Seiten Vorteile bietet: Während das junge Unternehmen sein Marktrisiko absichern kann, erzielt der etablierte Partner durch die Kooperation wertvolle Kostenvorteile. Denn er erhält Zugang zu neuen, digitalen Circular-Economy-Technologien, die er im eigenen Haus nur mit großem Aufwand entwickeln könnte. Nachhaltigkeitsexperte Helmcke hofft, dass möglichst viele solcher Partnerschaften entstehen und ein Ökosystem entlang der gesamten Wertschöpfungskette bilden. „Das ist der Königsweg zur erfolgreichen Kreislaufwirtschaft“, sagt er.
Bis 2030 könnten nach McKinsey-Berechnungen weltweit 200 bis 300 sogenannte Decacorns, also Start-ups mit einem Marktwert von mindestens 10 Milliarden Dollar, im Bereich Circular Economy entstehen. Eine Entwicklung, die nicht nur ökonomische Chancen eröffnet: Die jungen, agilen Unternehmen könnten zudem die Skalierung nachhaltiger Technologien massiv beschleunigen, erklärt Helmcke. „Das würde auch dem Klimaschutz einen großen Dienst erweisen“, so der Experte.
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