Die Medizin erlebt aktuell einen unglaublichen Innovationsschub. Antreiber sind bahnbrechend neue biologische Erkenntnisse, eine digitale Revolution sowie die wachsende Bereitschaft zu globaler Zusammenarbeit in der Forschung.Was können Patienten für die Zukunft erwarten?
Bild: Bayer / Shutterstock
Werden wir Krebs in Zukunft einmal heilen können? Wann können wir neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson wirksam bekämpfen? Wie kann Menschen geholfen werden, die dringend auf ein Spenderorgan warten? – Das sind einige der großen Herausforderungen, denen sich die Medizin in Zukunft stellen muss. In den Laboren arbeiten Forscher mit innovativer Technik daran, die biologischen Mechanismen zu entschlüsseln, die schweren Erkrankungen zugrunde liegen, und neue Therapien zu entwickeln, um heute noch unheilbare Leiden zu lindern oder ganz zu besiegen.
Die Erfolge, die diese Forschungsarbeit in jüngster Zeit erbrachte, sind beeindruckend, etwa bei der Behandlung bestimmter Krebserkrankungen. „Mit der sogenannten CAR-T Therapien ist es heute möglich, Krebspatienten mit ihren eigenen Immunzellen zu behandeln“, sagt Dr. Marianne De Backer, Leiterin Strategie und Geschäftsentwicklung Pharmaceuticals bei Bayer und ausgebildete Molekularbiologin. „Dazu werden bestimmte Zellen aus dem Körper des Patienten entnommen, verändert und anschließend zur Behandlung wieder injiziert.“ Der Patient erhält so ein individuell auf ihn zugeschnittenes Medikament.
Auch bei der Gentherapie sieht De Backer großes Entwicklungspotenzial: „Seit einiger Zeit wissen wir, dass bestimmte Krankheiten genetisch bedingt sind. Neu ist allerdings, dass wir heute schon für 150 Euro unser Genom sequenzieren lassen können, um Erkrankungsrisiken vorherzusagen. In naher Zukunft werden wir vermutlich auch in der Lage sein, mittels Blutproben bis zu 10 Jahre im Voraus Krebserkrankungen zu prognostizieren.“
Dr. Marianne De Backer
Leiterin Strategie, Business Development & Licensing und Mitglied des Pharmaceuticals Executive Committee, Bayer AG
Digitalisierung als Motor des medizinischen Fortschritts
Für Prof. Dr. Erwin Böttinger, Professor für Digital Health - Personalized Medicine am Hasso-Plattner-Institut und der Universität Potsdam und Co-Direktor des Hasso Plattner Institute for Digital Health at Mount Sinai in New York, liegt ein Schlüssel für den medizinischen Fortschritt in der Digitalisierung, insbesondere der Entwicklung der künstlichen Intelligenz: „Wir sehen schon heute etwa in der Radiologie oder in der Pathologie, wie gut Algorithmen darin sind, Hinweise zum Beispiel auf Krebserkrankungen zu erkennen. Solche Systeme sind zum Teil auch schon zugelassen.“
Die Bedeutung der Digitalisierung für den medizinischen Fortschritt fasst Marianne De Backer in ein anschauliches Bild: „Wenn es ein Problem mit dem Auto gibt, erscheint eine Warnleuchte. Dann lösen wir das Problem selbst oder gehen zu einem Experten. Zukünftig könnte man sich das beim Menschen ähnlich vorstellen. Bereits heute warnt uns die Apple Watch vor bestimmten kardiologischen Risiken. Vielleicht warnt uns in Zukunft ja unser Badezimmerspiegel vor Hautkrebs.“
Was im ersten Moment nach Science-Fiction klingt, hat tatsächlich das Potenzial, auch außerhalb der klinischen Anwendung die Gesundheitsversorgung zu revolutionieren. „Ich denke da zum Beispiel an smarte Tools, mit denen Patienten selbst ihren Gesundheitszustand überwachen können“, so Erwin Böttinger. „Diese Daten können dann in die medizinische Praxis eingebracht werden und den Prozess von Anamnese und Befunderhebung deutlich verkürzen.“ Mit dem Fortschreiten der Nanotechnologie sind in Zukunft sogar Nanosensoren denkbar, die im Körper platziert werden, um wichtige Vitalparameter zu erfassen und zu übermitteln.
Doch um die medizinischen Probleme der Zukunft anzugehen, reicht Forschungsarbeit allein nicht aus. Es muss auch der Wille vorhanden sein, die Ergebnisse aus den Labors und Kliniken mit anderen zu teilen. „Wir leben in einem Zeitalter der biologischen und digitalen Revolution, das geprägt ist von einer hohen Innovationsgeschwindigkeit, aber auch von zunehmender Komplexität“, so De Backer.
„Kein Unternehmen kann die Chancen, die sich daraus ergeben, allein nutzen. Wir müssen zusammenarbeiten. Kollaboration ist ein wichtiger Schlüssel zum gemeinsamen Erfolg.“
Wie erfolgreich solch eine Zusammenarbeit sein kann, beweist aktuell die Corona-Pandemie. Hier haben globale Zusammenarbeit und der offene Umgang mit Forschungsdaten dazu beigetragen, dass in Rekordzeit hoffnungsvolle Impfstoffkandidaten identifiziert werden konnten. „Selten zuvor haben Industrie und Behörden es geschafft, mit vereinten Kräften und im Eiltempo Medikamente, die weltweit benötigt werden, auf den Markt zu bringen“, betont De Backer.
Prof. Dr. Erwin Böttinger
Leiter des Digital Health Centers
am Hasso-Plattner-Institus und Co-Direktor
des Hasso Plattner Institute for Digital Health
at Mount Sinai, New York
Mehr Zusammenarbeit in der Forschung
Bei Bayer gibt es verschiedene Modelle, um die Zusammenarbeit in der Forschung zu fördern. Mit „Leaps by Bayer“ etwa, der Impact Investment Einheit von Bayer, sucht das Unternehmen nach Möglichkeiten, gemeinsam mit Partnern einige der großen gesellschaftlichen Herausforderungen in den Bereichen Gesundheit und Ernährungssicherung zu bewältigen. Ganz bewusst werden dabei auch kleinere Biotech- und Digital-Health-Startups als Partner gewählt, weil sie in ihren Bereichen oftmals sehr innovativ und forschungsstark sind.
Andererseits fehlt es ihnen meist an Möglichkeiten, ihre Forschungsergebnisse in ein Medikament münden zu lassen, das die sehr aufwändigen Test- und Zulassungsverfahren durchlaufen hat und über ein großes Vertriebsnetz weltweit angeboten werden kann. Hier bringen sich starke Partner wie Bayer ein. „Von Partnerschaften zwischen großen Pharmaunternehmen und kleinen Biotechs und Digital-Health-Start-ups profitieren also letztlich beide Parteien – vor allem jedoch die Patienten“, sagt De Backer.
Dass die Digitalisierung die Arbeit von Pharmaunternehmen wie Bayer in Zukunft noch stärker prägen wird, steht für die Leiterin Strategie und Geschäftsentwicklung außer Frage: „Immer mehr digitale Technologie kommt in der Pharmaindustrie zur Anwendung, und zwar in allen Stufen unserer Wertschöpfungskette. Gleichzeitig dringen immer mehr Tech-Unternehmen in den Gesundheits- und Pharma-Bereich vor, die Grenzen verschwimmen also. Diese Entwicklung wird Patienten zugutekommen.“
Erwin Böttinger verweist auf das Beispiel Telekommunikation: „100 Jahre lang war hier das Festnetz Standard, dann kam die Breitbandkommunikation als tiefer Einschnitt und stellte die Branche vor Herausforderungen. In der Pharmaindustrie beobachten wir gerade einen ähnlichen Einschnitt: Neben die lange Zeit dominierende Medikamenten-Forschung treten nun zunehmend digital geprägte Forschungsansätze. Das sind neue Herausforderungen, aber ich bin sicher, dass die Unternehmen dafür gut aufgestellt sind.“
Innovative Forschungsleistungen, globale Zusammenarbeit und die zunehmende Digitalisierung bilden das Fundament, auf dem die Medizin der Zukunft aufbaut. Die Arbeit an diesem Fundament hat bereits begonnen – und sie zeigt heute schon beeindruckende Ergebnisse. „Ich bin seit fast 30 Jahren Molekularbiologin und Biotechnologin“, so das Fazit von Marianne De Backer. „Dadurch habe ich viele Entwicklungen der modernen Medizin hautnah miterlebt. Trotzdem hätte ich mir niemals träumen lassen, dass wir im Jahr 2020 dort stehen würden, wo wir heute sind.“