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Studie

Nicht auf alte Stärken verlassen

Auf Innovationskraft setzen
(Bild: Continental)

Qualität und Zuverlässigkeit – mit diesem Patentrezept können viele deutsche Unternehmen bis heute auf den Weltmärkten punkten. Doch mit der voranschreitenden Digitalisierung droht die Strahlkraft von „Made in Germany“ zunehmend zu verblassen. Wie Firmen darauf reagieren sollten.

Irgendwie niedlich sieht er aus. Mehr hoch als breit mit seinen zwei großen Schiebetüren an der Seite und den vier winzig wirkenden Rädern an jeder Ecke sieht der „Cube“ auf den ersten Blick aus wie die Straßenversion einer Mini-U-Bahn. Das Akronym „Cube“ steht für „Continental Urban Mobility Experience“. Das im schicken Schwarz-Gelb lackierte Elektrogefährt soll für Continental zum Türöffner im zukunftsträchtigen Markt für fahrerlose Fahrzeuge insbesondere in Städten werden. Am Frankfurter Standort des Konzerns läuft dafür bereits auf einem eigens gebauten Straßenparcours mit Schildern, Kreuzungen und Fußgängerüberwegen der Probebetrieb. Das Versuchsfahrzeug ist mehr als eine Spielerei der Ingenieure. Es steht für die Ambition, mit der sich der weltweit führende  Automobilzulieferer fit macht für das Zeitalter der autonomen Elektromobilität. Der Konzern hat sein Geschäftsmodell in den vergangenen Jahren systematisch gewandelt: Gestartet als reiner Teileproduzent, ist er mittlerweile bedeutender Systemlieferant und behauptet sich damit in der von Kosten- und Wettbewerbsdruck geprägten Zulieferbranche.

Nun gehen die Hannoveraner mit einem eigenen Fahrzeugkonzept ins Rennen. Um ihren Claim im wachstumsträchtigen Geschäft mit E-Autos abzustecken, bringt Conti seine langjährig erarbeiteten Wettbewerbsvorteile ins Spiel: starke Marke, hohe Innovationskraft, exzellente Qualität. Sie sollen helfen, auf dem neuen Terrain die Konkurrenz auf Abstand zu halten.

Wettbewerbsvorteile von heute sind keine Garantie für die Zukunft

Mit dieser Strategie steht der Konzern aus Hannover nicht allein da. Einer Umfrage zufolge, die die Marktforscher von Civey im Auftrag der Management- und Technologieberatung Sopra Steria im Herbst 2020 durchgeführt haben, gehen knapp zwei Drittel der Unternehmensentscheider davon aus, dass die aktuellen Wettbewerbsvorteile ihres Unternehmens auch in den kommenden drei bis fünf Jahren bestehen werden. Etwa 17 Prozent der Befragten hingegen sind der Meinung, dass die aktuellen Wettbewerbsvorteile von heute in Zukunft keinen Bestand mehr haben werden. Die Einschätzungen variieren dabei je nach Branchenzugehörigkeit. In der vom Strukturwandel besonders heftig betroffenen Automobilindustrie geht aktuell knapp jeder zweite Entscheider davon aus, dass aktuelle Stärken künftig noch Wettbewerbsvorteile darstellen. Im Rahmen der Umfrage hat Civey rund 1.000 Entscheider aus privaten Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern befragt. Sie kamen aus den Branchen Automotive, Gesundheit, Banken und Versicherungen, Transport und Logistik sowie Energie und Versorgung.

Bedenkliche Entwicklung

Parallel dazu hat das Handelsblatt Research Institute (HRI) für den zusammen mit Sopra Steria erstellten Report „Advantage: you! – Mit Wettbewerbsvorteilen punkten“ Tiefeninterviews mit 16 Experten zur Ausgestaltung von Wettbewerbsvorteilen und zum Umgang mit ihnen in den Unternehmen geführt. Sie kamen aus großen, international tätigen Unternehmen verschiedener Branchen, vornehmlich Banken und Versicherungen, Gesundheit, Industriegüter und Technologie. „Dabei haben wir zusätzlich untersucht, wie bekannt Wettbewerbsvorteile innerhalb der Unternehmen sind, wie nachhaltig sie wirken und welche Strategien Unternehmen zum Erhalt und zur Weiterentwicklung ihrer Stärken verfolgen – auch in Zeiten von Corona“, sagt Sven Jung, Head of Economic Intelligence beim HRI. „Auch wenn die Stichprobe keine repräsentativen Aussagen zulässt, stimmt es durchaus bedenklich, in jedem Fall aber überraschend, dass keines der interviewten Unternehmen seinen Wettbewerbsvorteil heute in einem hohen Digitalisierungs- beziehungsweise Vernetzungsgrad, einem effektiven Datenzugang oder in der datenbasierten Geschäftssteuerung sieht.“ Gerade deshalb gehen nach Aussage des Co-Autors des Reports alle interviewten Experten davon aus, dass die Wettbewerbsvorteile ihrer Unternehmen auch noch in drei bis fünf Jahren Bestand haben werden – auch wenn es durchaus Verschiebungen bei der Gewichtung geben wird. Womöglich eine trügerische Hoffnung? „Alle sehen die Notwendigkeit, dass sich ihr Unternehmen auch weiterentwickeln muss und sich nicht auf dem Status quo ausruhen darf.“ Die Corona-Krise führt auf der einen Seite dazu, dass die Unternehmen agiler und wandlungsfähiger werden müssen. „Aber der Großteil von ihnen wirft die bisherige Strategie nicht über Bord“, zieht Jung ein Fazit aus der Studie.

Die Digitalisierung wirkt als Game Changer für Wettbewerbsvorteile

„Im Wesentlichen hat sich vor allem der deutsche produzierende Mittelstand entweder über Innovationskraft oder Kostenführerschaft im Wettbewerb definiert“, fasst Kristijan Steinberg, Head of Strategy Consulting bei Sopra Steria Next, die Ergebnisse der Civey-Umfrage zusammen. „Fraglich ist allerdings, ob diese Strategie zukünftig noch funktionieren wird.“ Denn für den Experten wandeln sich mit der Digitalisierung die Erfolgsfaktoren, die Wettbewerbsvorteile ausmachen. Bestehende Stärken eines Unternehmens müssen damit in Zukunft nicht mehr zwangsläufig Bestand haben. „Deutsche Unternehmen sind bekannt für Qualität und Zuverlässigkeit. Für die Trumpfkarte ,Made in Germany‘ war sehr oft ausgezeichnete Ingenieurskunst entscheidend. Das funktioniert noch bis heute – aber es ist dabei, sich zu ändern“, warnt der Industrieexperte. „Vor dem Hintergrund der Digitalisierung werden die Kostenführer in gesättigten Märkten noch stärker die Themen niedrige Produktionskosten und niedrige Preise betonen.“ Für Wettbewerber heißt das: Wenn sie weiter mithalten wollen, müssen sie ihre operative Effizienz mit aller Kraft vorantreiben. „Innovationsführer dagegen stellen fest, dass das Thema Digitalisierung ihr Geschäft ziemlich stark umdreht, ja sogar auf den Kopf stellen kann. Früher lautete die Reihenfolge bei Investitionsentscheidungen: Qualität und Zuverlässigkeit, Innovationskraft und dann erst Bequemlichkeit. Das kehrt sich jetzt um. Die Käufer verlangen, dass selbst komplexe Maschinen intuitiv zu bedienen sind“, prognostiziert Steinberg.

Von Markenkönigen, Produktweltmeistern und Service-Stars

In der Civey-Erhebung geben mehr als die Hälfte der befragten Entscheider Qualität und Verfügbarkeit der Produkte als momentane Wettbewerbsvorteile ihrer Firma an (50,7 Prozent). Es folgen Kundenfokussierung (34,2 Prozent), Markenstärke (31,5 Prozent) und Leistungsfähigkeit bei Service und Aftersales (30,8 Prozent). Nur relativ wenige Unternehmen nennen Vertrieb, Preisgestaltung und effiziente Kostenstruktur sowie digitale Aspekte wie Datenkompetenz, Business Intelligence, Automatisierung und Einsatz neuer Technologien als einen ihrer Wettbewerbsvorteile. Auf Basis der 16 Interviews haben die HRI-Experten fünf Unternehmenstypen identifiziert, die sich anhand charakteristischer Wettbewerbsvorteile beschreiben lassen: Markenkönige mit Kundenfokus, Produktweltmeister mit leistungsfähigen Mitarbeitern, zuverlässige Service-Stars, Technologie-Vorreiter und Vertriebshelden.

Wer sich als Unternehmensverantwortlicher auch zukünftig am Markt nachhaltig behaupten will, der sollte nach Einschätzung von Sopra-Steria-CEO Urs M. Krämer eine nüchterne Bestandsaufnahme machen: „Eine Analyse bringt die Erkenntnis, welchem Wettbewerbstyp sich ein Unternehmen zuordnen kann und wo es tatsächlich steht – auch hinsichtlich der passenden Reaktionen auf die veränderten Rahmenbedingungen wie Klimawandel oder überholte Geschäftsmodelle.“ Einen strategischen Königsweg, der daraufhin einzuschlagen ist – auch das hat die Untersuchung zutage gebracht –, gibt es nicht. Krämer empfiehlt, den Blick offen zu halten: „Potenzielle Wettbewerbsvorteile können an jeder Ecke eines Unternehmens schlummern: von Prozessen über Produktivität, Effizienz, Mitarbeiter, Innovation, Kultur bis hin zu Technologie oder Wissen. Man muss sie eben nur erkennen und erschließen.“

 

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