Die Zahlen sind alarmierend: Jeder Fünfte entwickelt im Laufe seines Lebens eine Herzinsuffizienz. Mehr als 40.000 Todesfälle gehen jährlich in Deutschland auf das Konto eines schwachen Herzens. Hoffnung könnten zukünftig neue Therapien geben. Sie sollen den wichtigsten Muskel wieder stärken und könnten so die Lebensqualität Betroffener verbessern und Krankenhausaufnahmen oder Todesfälle verringern.
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Von Künstlern gemalt, von Poeten beschrieben, von Barden besungen und doch nur eine 300 Gramm schwere Ansammlung von Gefäßen und Muskelgewebe: Das Herz. Über ein Geflecht aus Schlagadern, Venen und feinsten Kapillaren pumpt dieser Hohlkörper täglich bis zu 10.000 Liter Blut durch den Kreislauf und hält so das System Mensch am Laufen. Eine perfekte Konstruktion, allerdings eine störanfällige. Nach Schätzungen der Deutschen Herzstiftung leiden hierzulande etwa 2,5 Millionen Menschen unter Herzschwäche, der sogenannten chronischen Herzinsuffizienz. Ihr Herzmuskel ist nicht mehr in der Lage, ausreichend Sauerstoff und Nährstoffe zu Organen, Gewebe und Zellen zu transportieren.
Hier und da mal eine Erkältung, aber ernsthaft krank war Peter Christensen* nie. Als selbständiger Bauingenieur hat er häufig bis spät abends am Schreibtisch gesessen, ist Anstrengung gewohnt. Auch als Tennisspieler ist er oft an seine Belastungsgrenze gegangen. „Doch nach meinem 65. Geburtstag haben mich allmählich die Kräfte verlassen“, erinnert er sich. Erst rang er auf dem Tenniscourt nach Luft, später raubten ihm die Treppenstufen hoch in sein Büro in der Düsseldorfer Altstadt den Atem. „Ich hab‘s auf das Alter geschoben und den ganzen Stress“, sagt der 72-Jährige. Doch der Kardiologe diagnostizierte eine fortgeschrittene Herzschwäche. Ursache war der massive Bluthochdruck, den Peter Christensen jahrelang ignoriert hatte.
Prof. Dr. Burkert Pieske
Direktor der Kliniken für Innere Medizin und Kardiologie an der Charité Berlin und am Deutschen Herzzentrum Berlin
Die Herzinsuffizienz schleicht sich oft langsam in das Leben Betroffener. „Sie entwickelt sich über Monate oder auch Jahre“, erklärt Professor Burkert Pieske, Direktor der Kliniken für Innere Medizin und Kardiologie an der Charité Berlin und am Deutschen Herzzentrum Berlin. „Betroffene sind kurzatmig, ihre Leistungsfähigkeit nimmt ab, oder sie leiden unter Wassereinlagerungen, sogenannten Ödemen“, fasst der Kardiologe die häufigsten Symptome zusammen. Laut Deutschem Herzbericht ist die chronische Herzinsuffizienz mit 40.300 Betroffenen eine der häufigsten Todesursachen in Deutschland und mit mehr als 460.000 Fällen pro Jahr der häufigste Grund für eine Krankenhauseinweisung. Denn viele Betroffene verkennen die Symptome und suchen zu spät ärztliche Hilfe. Je früher die Therapie aber einsetzt, desto höher ist die Lebenserwartung.
Zahl der Erkrankten steigt alarmierend
Genaugenommen ist die Herzschwäche keine eigenständige Krankheit, sondern in der Regel die Folge einer Vorerkrankung. In rund zwei Dritteln der Fälle, so die Deutsche Herzstiftung, stecken verengte Herzkranzgefäße oder ein überstandener Herzinfarkt dahinter, bei anderen Patienten eine Herzmuskel-Entzündung, defekte Herzklappen oder auch genetische Ursachen. Auch Alkohol- und Drogenkonsum, Medikamente, rheumatische Leiden oder Diabetes setzen dem Herzen zu und können in die Insuffizienz führen – das Spektrum der möglichen Übel ist lang. Dabei ist das kraftlose Herz in unserer alternden Gesellschaft ein wachsendes Problem. Einer Studie des George Institute for Global Heath in Oxford zufolge leiden bei den 65- bis 75-Jährigen bereits bis zu fünf und bei den über 80-Jährigen fast zehn Prozent darunter. Innerhalb von zwei Jahren stieg die Zahl der Betroffenen um 3,7 Prozent, hat die Deutsche Herzstiftung ermittelt. Und eine Trendwende ist nicht in Sicht. Denn auch der medizinische Fortschritt verhilft vielen Herzkranken zu einem längeren Leben, selbst wenn ihr wichtigstes Organ bereits massiv geschwächt ist.
Dr. Lothar Rössig
Kardiologe bei Bayer und Leiter der Abteilung klinische Entwicklung im Therapiegebiet
Herz und Niere
„Wir haben mittlerweile eine ganze Reihe von Medikamenten, die die Lebensqualität Betroffener verbessern und Krankenhausaufnahmen sowie die Zahl der Todesfälle verringern“, sagt Pieske. Zum Einsatz kämen etwa Diuretika, die vermehrt Wasser über die Nieren ausscheiden helfen und so Ödemen vorbeugen. Weitere Medikamenten-Gruppen wie zum Beispiel die Renin-Angiotensin Blocker oder die Beta-Blocker können das Herz schützen, indem sie die Aktivität schädlicher Hormone und des sympathischen Nervensystems dämpfen.
Neue Wirkstoffe machen Hoffnung
Große Hoffnung setzen Forscher in eine neue Wirkstoffklasse, aus der ein Kandidat in den Laboren des deutschen Pharmakonzerns Bayer und dem US-Pharmakonzern Merck & Co untersucht wurde. Dabei geht es um ein Enzym, das die Funktion des Herzens und der Blutgefäße anregt und unterstützt. Bei Patienten, die unter einer chronischen Herzinsuffizienz leiden, wird es nicht ausreichend angeregt. Die Folge: Der Herzmuskel macht schlapp. Der neue Kandidat aus dieser Wirkstoffklasse wurde für Herzschwäche geprüft:„In einer Phase-III-Studie konnte das kombinierte Risiko bestehend aus Herzinsuffizienz bedingten Krankenhausaufenthalten oder kardiovaskulärer Sterblichkeit gesenkt werden-“, sagt Dr. Lothar Rössig, Kardiologe bei Bayer und Leiter der Abteilung klinische Entwicklung im Therapiegebiet Herz und Niere. „Die Ergebnisse sind sehr ermutigend.“
An der Studie hatten 5.050 Patienten teilgenommen. „Das Besondere war, dass vor allem sehr schwere Formen der Herzschwäche untersucht wurden, also Patienten, die bereits eine Krankenhauseinweisung oder eine dringliche Behandlung für Herzschwäche benötigt hatten“, erklärt der Bayer-Experte. Diese Betroffenen seien nur sehr schwer zu behandeln. Der neue Kandidat soll in Kombination mit bestehenden Therapien eingesetzt werden. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat dem Medikamentenkandidaten den Status der vorrangigen Prüfung gewährt, was das Verfahren deutlich verkürzen kann. Der Konzern hat die Zulassung bereits auch in Europa, China und Japan beantragt.
Peter Christensen klagt nicht gerne. Doch trotz langjähriger Therapien ist mittlerweile schon ein kleiner Spaziergang für ihn eine große Herausforderung. „Ich wünsche mir dringend neue Therapieoptionen, die meinem Herzen wieder mehr Kraft geben“, sagt er: „Das würde mich wirklich glücklich machen!“
*Name von der Redaktion geändert