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Interview

„Alle fahren aktuell nur auf Sicht“

Urs M. Krämer, CEO Sopra Steria
Urs M. Krämer, CEO Sopra Steria


Urs M. Krämer, CEO der Management- und IT-Beratung Sopra Steria, macht sich Sorgen um die Technologiebegeisterung in der deutschen Wirtschaft. Er beobachtet, dass Unternehmen aller Branchen derzeit auf die Folgen von Corona starren wie das Kaninchen auf die Schlange. Der Digitalisierungsprofi fordert von den Firmenverantwortlichen stattdessen mehr proaktives Handeln. Er empfiehlt ihnen, die Krise als Innovationstreiber zu nutzen, um sich so bestehende Vorteile im Wettbewerb zu sichern und neu zu erarbeiten.

Herr Krämer, Hand aufs Herz: Was macht Corona mit der deutschen Wirtschaft und ihrer langfristigen Wettbewerbsfähigkeit?
Die Lage ist schon ernst. Noch im Sommer hofften viele, dass sich die V-Vorhersage vieler Ökonomen bestätigen könnte, wir also eine wirtschaftliche Erholung sehen. Inzwischen passt der Buchstabe „L“ leider sehr viel besser, um die Entwicklung zu beschreiben. Im internationalen Vergleich steht die deutsche Wirtschaft zwar gut da, doch es ist wichtig, das Kleingedruckte zu lesen: Die Bundesregierung hat ein Maßnahmenpaket mit einem Umfang von 130 Milliarden Euro auf den Weg gebracht, die Mehrwertsteuer gesenkt und die Kurzarbeiterregelung ausgeweitet. Zusätzlich hat sie die Insolvenzantragspflicht bis zum Jahresende ausgesetzt. Damit haben wir uns Zeit erkauft, doch von einer Rückkehr zur Normalität sind wir noch weit entfernt. Zumal kaum ein Land so stark wie Deutschland in die Weltwirtschaft eingebunden und von ihr abhängig ist. 17 Prozent unserer Wertschöpfung hängen an globalen Lieferketten. Zwar zeigen sich viele Unternehmen in der Krise bislang sehr widerstands- und auch anpassungsfähig. Das hören wir aus vielen Gesprächen mit Wirtschaftsführern und das belegt auch eine repräsentative GfK-Umfrage im Auftrag der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Es gibt somit Indikatoren, die für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sprechen. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass sich die Aussage nicht pauschal auf alle Industriezweige übertragen lässt. Es kommt sehr darauf stark an, welche Branche und welchen Typus Unternehmen man betrachtet. Unternehmen im Schiffbau sowie der Luft- und Raumfahrt zählen beispielsweise zu den technologieintensivsten und innovativsten Sparten der Fahrzeugbauindustrie. Sie sind durch die Krise schwer belastet und müssen nun zeigen, dass ihre Innovationskraft und das technologische Know-how als Wettbewerbsvorteile ausreichen oder ob andere dazukommen müssen.

Wissen deutsche Entscheider eigentlich, was der Wettbewerbsvorteil ihres Unternehmens ist? Bereits weit vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie zeigte eine Langzeitumfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Civey, dass es viel Bewegung bei der Einschätzung der Wettbewerbsposition des eigenen Unternehmens gibt.
Ich finde die Umfrage hochinteressant, weil sie inzwischen einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren abbildet. Sie zeigt, dass der pessimistische Blick auf die eigene Wettbewerbsposition den optimistischen Blick bereits vor der Corona-Krise eingeholt hat. Und die Zahl derjenigen, die gar keine Meinung dazu haben, ist um die Hälfte gestiegen. Das stimmt nachdenklich. Klar ist: Viele Unternehmen bemühen sich darum, in der Corona-Zeit so etwas wie den operativen Status quo zu erhalten, um geschäftsfähig zu bleiben. Alles andere wäre Harakiri! Natürlich fahren daher in der Krise viele auf Sicht. Doch das darf nicht zum Stillstand führen. Gerade jetzt darf ich als Unternehmer den Blick nach vorn nicht komplett aus den Augen verlieren. Ich bin ein großer Freund von dem Ansatz, Krisen als Innovationstreiber zu nutzen. Die zahlreichen kreativen Lösungen seit März, die wir gerne auf Homeoffice und Videokonferenzen reduzieren, haben gezeigt, dass die Unternehmen in Deutschland flexibel auf akute Herausforderungen reagieren können. Transformation und Umdenken sind somit möglich. Dieses Denken und Handeln gilt es, nachhaltig zu verankern.

Der flächendeckende Einsatz von Zoom & Co. als Pioniermodell sozusagen?
Ja und Nein. Homeoffice und Videokonferenzen allein sind kein Beleg für einen Digitalisierungsschub. Mit Glück markieren sie aber den Anfang einer größeren Geschichte – wenn sich die Haltung zum Einsatz neuer Technologien grundsätzlich ändert. Dann lassen sich nämlich auch Wettbewerbsvorteile erarbeiten, die es bisher so womöglich noch gar nicht gab. Dafür sollten sich Entscheider nun die verschiedenen Bereiche ihres Unternehmens genau ansehen, um herauszufinden, wo welcher Wettbewerbsvorteil stecken könnte – und wie er sich heben lässt. Einer Organisation, die zum Beispiel in der Lage ist, Daten zu monetarisieren, wird es sicher leichter fallen, sich zusätzliche digitale Standbeine zu schaffen als Unternehmen, die sich in diesem Terrain nicht auskennen. Das ist vielmehr ein strategisches Thema als ein technologisches.

Viele deutsche Unternehmen, gerade aus dem Mittelstand, sind mit wenigen, dafür überragenden Produkten und Dienstleistungen groß geworden. Doch genügt dieser Wettbewerbsvorteil aus vergangenen Tagen noch für das digitale Zeitalter, in dem Produkte und Dienstleistungen immer austauschbarer werden und deren USP schwindet?
Nein, ein rein produktorientierter Ansatz funktioniert nicht mehr länger. Inzwischen macht die Software den wesentlichen Unterschied. Für viele deutsche Unternehmen steht jedoch noch immer das Gerät, die Maschine, die Hardware im Zentrum des Geschäfts. Im deutschen Maschinenbau ist Software noch immer ein Randthema. Es fehlen die nötigen Anpassungen bei den Strukturen und in der Unternehmenskultur. Das Ergebnis liest sich dann so: Das IMD World Competitiveness Center veröffentlicht regelmäßig ein Ranking zur Wettbewerbsfähigkeit ausgewählter Staaten bei der Digitalisierung. Deutschland fehlt hier in den Top 10, Tendenz stagnierend. Unser ganzes Ökosystem ist ein Überbleibsel der Deutschland AG – ein Konstrukt aus OEMs und Zulieferern. Das war lange eine Erfolgsgeschichte mit dem Ergebnis, dass wir global führend waren. Doch auch Top-ausgereifte Produkte oder bis in die Haarspitzen auf Effizienz getrimmte Abläufe und Wertschöpfungsketten können heute innerhalb kürzester Zeit durch neue Geschäftsmodelle ersetzt werden. Meines Erachtens kommt es deshalb immer stärker darauf an, den Begriff Wettbewerbsvorteil weiter zu fassen und sich Stärken jenseits des eigentlichen Produktes zu erarbeiten. Vielleicht eignet sich ein Vergleich aus dem Schulwesen: Wissen wird immer weniger wichtig, dafür aber der schnelle Zugang und die Kompetenzen sowie das Transfer-Denken, das Wissen zu nutzen.

Welche bis dato vernachlässigten Wettbewerbsvorteile werden aus Ihrer Sicht in der digitalen Zukunft eine immer größere Rolle spielen?
Wir erleben in unserer Praxis als Management- und Technologieberatung, dass potenzielle Wettbewerbsvorteile grundsätzlich in jeder Ecke eines Unternehmens schlummern, sie in den Unternehmen selbst aber selten als solche wahrgenommen und formuliert werden. Dazu gehören besonders stark automatisierte Prozesse, ein spezieller Mix aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, charismatische Denker und Lenker, die ausgeprägte Kultur des Handelns und des Probierens, der einzigartige Umgang miteinander oder ein besonderer Technologiemix. Die Liste ließe sich quasi endlos fortsetzen. Künftig dürften solche „hidden edges“ noch wichtiger werden. Der Joker unter den Wettbewerbsvorteilen ist aber die Geschwindigkeit. Tempo wird zum ultimativen Vorteil, der viele andere Stärken aussticht. Darauf sollten andere Wettbewerbsvorteile einzahlen – egal ob bei der Produktentwicklung oder bei Recruiting neuer Mitarbeiter. Überall wird es mehr denn je darauf ankommen, schlicht schneller zu sein als die Wettbewerber. Investitionen in den Automatisierungsgrad, in verschlankte Organigramme mit kurzen Entscheidungswegen und agilen Teams sowie in Business IT Alignment und der Einsatz neuer Technologien werden sich daran messen lassen müssen, wie gut sie das Ziel
„Geschwindigkeit“ unterstützen.

Wie sieht die richtige Strategie aus, um gezielt Wettbewerbsvorteile im Unternehmen zu identifizieren und dann zu heben?
Es gibt nicht die eine Strategie, die der Komplexität des Themas gerecht wird. Aber es gibt Strategien, in deren Zielmatrix sich das Thema Wettbewerbsvorteile hervorragend einbetten lässt.

Welche sind das?
Das sind sehr grundsätzliche Ansätze, die inzwischen auch den meisten Unternehmen in der einen oder anderen Weise geläufig sein dürften – Strategien hin zu einer Organisation, die ad hoc agieren kann, einer Kultur des Stolperns und Wiederaufstehens, einem vorwärtsgewandten Umgang beim Betrachten neuer Technologien und der Nutzung von Daten sowie hin zu einer Führung, die Mitarbeiter befähigt und nicht anweist. Die Rezepte sind im Grunde bekannt. Wo es nach meiner Erfahrung oftmals klemmt, ist die Transition von der Strategie in die Umsetzung. Ein Strategiepapier zu verfassen, ist das eine. Das Papier in ein Konzept und dieses wiederum in Maßnahmen zur überführen und alles zusammen mit Leben zu füllen und den Mitarbeitenden zu vermitteln – das ist dann etwas völlig anderes. Dazu kommt, dass viele Unternehmenslenker Transformation mit einer 1:1-Kopie des Wettbewerbs verwechseln und sich dann wundern, warum sie kein zweites Google oder Alibaba werden. Die bewährten Tugenden Effizienz, auf Nummer sicher gehen, Perfektionismus und Zuverlässigkeit werden als Wettbewerbsvorteile weiterhin gebraucht. Sie sollten nicht verleugnet werden, sondern immer dort einfließen, wo es sinnvoll ist. Es wäre fatal zu glauben, der Edge des Silicon Valley sollte der Edge der Deutschland AG sein.

 

Sie beraten nicht nur privatwirtschaftliche Unternehmen, sondern auch Firmen in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft. Auch die befinden sich in, wenn auch anders gelagerten, Wettbewerben. Wie steht es um die Wettbewerbsfähigkeit der öffentlichen Hand hierzulande?
Die Entscheider in der öffentlichen Verwaltung wissen sehr genau, dass in einigen Bereichen das Prinzip der Wettbewerbsfähigkeit für sie absolut entscheidend ist. Das betrifft vor allen die Gewinnung von Mitarbeitern und das Feld Personalentwicklung. Viele Fachkräfte gehen in den Ruhestand oder werden es in naher Zukunft tun. Offene Stellen müssen neu besetzt oder Arbeit umorganisiert werden. Kultur und Organisation spielen bei diesem Umbau eine wichtige Rolle. In der Umfrage für die Studie Branchenkompass Public Sector 2020 haben wir ermittelt, dass 67 Prozent der Entscheider das Change Management persönlich für sehr wichtig halten, damit Innovationen erfolgreich eingesetzt werden können. Gleichzeitig hat die Corona-Krise sehr deutlich gezeigt, dass Behörden in Deutschland im internationalen Vergleich hervorragend dastehen. Das Vertrauen der Bürger in öffentliche und kommunale Institutionen war noch nie so groß wie jetzt. Aus meiner Sicht völlig zurecht – die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Hand in Deutschland zeigt, dass sie trotz ihrer digitalen Defizite andere Stärken in sich trägt, die den Unterschied machen können.

„What’s your edge?“ bei Sopra Steria? Was können Sie so gut, wie es kein anderer kann?
Eine große Stärke ist: Der größte Anteilseigner von Sopra Steria ist die Familie des Gründers, der zudem immer noch Vorsitzender des Verwaltungsrats ist. Obwohl wir Teil einer börsennotierten Gruppe sind, sind wir im Prinzip ein inhabergeführtes Unternehmen. Damit zählen ein Stück weit andere Werte. Das spüren unsere Kunden, weil unser Haupteigner das Geschäft und das unserer Kunden bestens versteht. Dazu kommt: Als Anbieter von Know-how in der Technologie- und Beratungsbranche werden wir stärker als andere Unternehmen von unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geprägt. Ihre Kompetenz und ihr tiefes Branchenverständnis sowie die Möglichkeiten, die wir ihnen geben, ihre Expertise einzubringen und anzuwenden, machen uns aus. Und: Wir halten keine anonymisierten, industrialisierten Delivery-Strukturen vor, sondern sind ein kundenorientiertes Unternehmen. Wir sehen uns als Partner auf Augenhöhe unserer Kunden. Weder sind wir eine klassische Managementberatung, die mit Hochglanzstrategiepapieren arbeitet, noch sind wir ein typischer Technologie-Dienstleister, der sich beschränkt, Briefings abzuarbeiten. Wir verbinden beides: Wir entwickeln Lösungen, die wir auch selbst umsetzen können – Strategien, Konzepte und Maßnahmen, die aus einem Guss funktionieren. Genau das sind unsere Wettbewerbsvorteile.

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