Als das Traditionsunternehmen Henkel 2013 seine Industrie-4.0-Reise begann, konnte vermutlich noch niemand ahnen, wie rasant sich der Wandel vollziehen würde – und wie wertvoll die schnelle Verfügbarkeit von Daten im Corona-Jahr 2020 einmal sein würde.
Den Grundstein legte seinerzeit die systematische Energieverbrauchsmessung. Doch schon damals hatte Henkel den Wert von Daten erkannt – und die Rolle, die die eigenen Mitarbeiter dabei spielen. Heute verzeichnet der Unternehmensbereich Wasch- und Reinigungsmittel etwa 4.000 Nutzer der visuellen Analytics Plattform von Tableau – darunter ein Großteil der Supply-Chain-Mitarbeiter. Hier werden täglich operative Daten aus der Produktion und Logistik gesammelt und verarbeitet. Durch intensive Schulungen wissen die Mitarbeiter, wie sie die Daten einsehen und für ihren Tätigkeitsschwerpunkt einsetzen können. Das kommt Henkel auch in der aktuellen Krisensituation mit hochdynamischen Regularien, Prozessen und Lieferketten zugute.
Transparenz wird bei Henkel großgeschrieben: Jeder Mitarbeiter der Supply Chain kann weitestgehend alles sehen und für seinen Aufgabenbereich relevante Daten erhalten: Eine Philosophie, die auch den gesunden Wettbewerb zwischen den Standorten ordentlich anheizt. Wer arbeitet energetisch am effizientesten? Wie reibungslos und effizient laufen die Prozesse?
Wir sprachen mit Dr. Dirk Holbach, Corporate Senior Vice President & CSCO Laundry & Home Care, über Daten, die Notwendigkeit einer Datenkultur, die Learnings aus der aktuellen Krisensituation – und die Frage, wo die Reise noch hingehen soll.
Herr Dr. Holbach,wo sehen Sie die größten Herausforderungen und Chancen, wenn es um den Aufbau einer Datenkultur geht?
Dr. Dirk Holbach: Das ist eine spannende Frage, bei der ich zunächst differenzieren würde – zwischen dem gesamten Unternehmen auf der einen und der Supply Chain auf der anderen Seite. Beim Thema Supply Chain geht es ja grundsätzlich um Prozesse. Diese kann man aber nur steuern, wenn man die relevanten Parameter kennt – also die dazugehörigen Daten. Entsprechend besteht in unserer Organisationseinheit schon mal eine sehr hohe Affinität zu Daten und KPIs.
Gerade zu Beginn unserer Digital Journey vor etwa acht Jahren zählten zu den größten Herausforderungen einerseits die Verfügbarkeit von Daten – sprichwörtlich an den Stellen, wo sie gebraucht werden – und natürlich auch ihre sinnvolle und kompakte Aufbereitung.
Sicher ist: Wer eine Datenkultur aufbaut, muss einen Zugang zu den Daten schaffen. Und wir sprechen hier über Trillionen von Datenpunkten. Dort eine Struktur aufzusetzen, die nutzergruppenspezifisch legitime Interpretation erlaubt, ist definitiv eine Herausforderung – aber auch eine wertvolle Chance. Dabei sind Transparenz und Training wichtige Schlüsselelemente, um den Zugang zu ermöglichen.
Keine Frage, Daten-Transparenz herzustellen, ist nicht einfach. Wir haben von Anfang an die Policy verfolgt „Jeder kann alles sehen“. Diese hohe Transparenz hat viele Vorteile, aber stieß Anfangs auch auf Skepsis. Entsprechend waren zum einen der Nutzen der User, aber auch die aktive Kommunikation des Managements gefragt.
Hier bei Henkel haben wir erkannt, dass Transparenz die Datennutzung und auch daten-basierte Entscheidungen beschleunigen kann. So kann zum Beispiel jedes Werk bis auf die Minute genau verfolgen, was das andere Werk macht; die Stückzahlen, SKUs etc. einsehen – und das wird auch genutzt. Wir beobachten zwischenzeitlich mehr als 20.000 individuelle Abrufe pro Tag. Die Verfügbarkeit und das Verfügbarmachen von Daten sehe ich entsprechend als wichtige Aufgabe an. Dazu kommt natürlich noch das Thema Datenqualität/-struktur, bei dem auch wir bei Henkel eine Evolution hinter uns haben.
Vor diesem Hintergrund ist auch die Weiterbildung unserer Mitarbeiter und die Förderung ihrer Datenkompetenz ganz wichtig, denn wir wollen mit unserem Team die entsprechenden Dashboards erarbeiten. Entsprechend sind begleitende Trainings, etwa durch kurze Video Tutorials und Anwendungsbeispiele, ein wichtiger Erfolgsfaktor.
Welche Schlüsselrolle spielt eine starke Datenkultur bei der Prozessoptimierung (ins. in der Supply Chain) von Henkel, vor allem in der heutigen Zeit?
Dr. Dirk Holbach: Auch wenn wir uns noch am Anfang der Reise sehen, haben wir von dem entwickelten Set-up auch in den letzten Monaten profitiert – vor allem, wenn es um das remote, also dezentrale, Arbeiten geht. So müssen zum Beispiel die Analytics-Funktionalitäten, Echtzeitdaten auf der Plattform und wichtige Dashboards auch dezentral zugänglich sein.
Einige dieser Funktionalitäten wurden aufgrund der hohen Dynamik der Krise quasi über Nacht entworfen – das bringt durchaus Herausforderungen mit sich. Auch die kurzfristige Balancierung von veränderten Angebot- und Nachfragesituationen, wie zum Beispiel für Wasch- und Hygieneprodukte, war hier ein sehr wichtiges datengetriebenes Thema. Entsprechende Funktionalitäten und Datensets konnten zum Glück kurzfristig in unsere bestehende Tableau-Plattform integriert werden. Dabei kommt uns unsere über Jahre hinweg aufgebaute Kompetenz zugute, dank derer wir relativ zügig solche Dashboards erstellen und auswerten können.
Ein weiterer Punkt ist das Tempo: So konnten wir etwa die gesamte Steuerung unseres Personal Protective Equipments wie zum Beispiel Masken und Desinfektionsmittel binnen weniger Tage in einer Front-End-Lösung erfassen, sodass jedes Werk sehen kann, wie wir diesbezüglich ausgerüstet sind.
Wir beobachten definitiv, dass Unternehmen, die generell in puncto Industrie 4.0 bereits gut aufgestellt waren, in der Krise von dem bereits vorhandenen Know-how profitiert haben und teilweise auch eine Beschleunigung der Anwendungen sehen. In diesem Punkt haben die aktuellen Umstände vieles beschleunigt, da man sonst vielerorts gar nicht das Geschäft hätte aufrechterhalten können.
Was an dieser Datenkultur unglaublich praktisch ist, ist die Tatsache, dass team- und hierarchieübergreifend alle auf dieselben Daten zugreifen und mit ihnen arbeiten können.
Was raten Sie Führungskräften, wenn es um die Investition in und den Aufbau einer Datenkultur geht?
Dr. Dirk Holbach: Zunächst muss bei Überlegungen in diese Richtung an allererster Stelle der Nutzen für das Geschäft stehen. In der Supply Chain etwa hat man es mit stark KPI-getriebenen Prozessen zu tun. Die muss ich laufend optimieren und steuern, sodass ich von vornherein einen großen Nutzen habe.
Damit einhergeht der sogenannte Pull der Nutzer, den es zu fördern gilt. Die Anwender müssen sagen: „Wow, das wollte ich schon immer haben.“ Und auch ihre Fähigkeiten, mit Daten umzugehen, sind natürlich wichtig und müssen entsprechend geschult werden.
Dazu müssen Technologie-Lösungen skalierbar sein und ein größerer strategischer Ansatz muss vorhanden sein. Denn erst das Zusammenspiel ermöglicht es eine Datenkultur aufzubauen. Bei uns heißt das Thema „Industrie 4.0“ – hier wird das Thema Daten und Datenvisualisierung in einem größeren Kontext betrachtet. Und last but not least ist es natürlich immer wichtig, Parameter für die Erfolgsmessung festzulegen, um die Geschäftsleistung zu bewerten und Prozesse bei Bedarf schnell anpassen zu können.
In Anbetracht dieser Voraussetzungen: Wie sehen Sie die Entwicklung vor dem Hintergrund der aktuell entstehenden „Neuen Normalität“?
Dr. Dirk Holbach: Auf jeden Fall beobachten wir eine große Zunahme der Nutzung von Technologien zur Datenanalyse und der Förderung von Datenfertigkeiten. Letztere ermöglichen es den Mitarbeitern interdisziplinär, ihre Daten zu sehen, zu verstehen und schnell Entscheidungen treffen zu können.
Die Nutzung von Datentools steigt weiter an und neue Funktionalitäten kommen dazu. Die Digitalisierung wird insgesamt stark beschleunigt.
Auch in Zukunft werden sich Dinge weiter anpassen. Was unsere digitale Plattform angeht, werden wir weiterhin Gas geben und beschleunigen. Vieles wird ausprobiert werden.
Natürlich beobachten wir hier speziell im Bereich Laundry & Home Care bestimmte Kategorien, die sehr boomen in den vergangenen Wochen – die erhöhten Bedarfe werden zum Teil auch nachhaltig Auswirkungen auf unser Produktportfolio haben. Das gilt besonders für Hygieneprodukte wie etwa Reinigungsmittel. Gerade in der Supply Chain müssen wir jetzt schon wissen, was der Konsument nächstes Jahr haben möchte – eine große Herausforderung, die Daten so wertvoll macht.
Gibt es Lektionen, die Sie in den vergangenen Wochen gelernt haben – und von denen Sie denken, dass sie Ihre Arbeitsweise in Zukunft verändern werden?
Dr. Dirk Holbach: Definitiv. Der erste Punkt ist „stay humble“ – wir beobachten eine starke sachliche Fokussierung aller internen Kommunikation, was sehr konstruktiv ist. Und auch die Faktenbasiertheit nimmt zu – das heißt, immer mehr Entscheidungen sind datengestützt.
Die letzten Wochen haben auf jeden Fall die Zusammenarbeit nachhaltig verändert. Auch der Zusammenhalt und die Identifikation mit dem Unternehmen ist deutlich gestärkt. Ich bin überzeugt, dass wir gerade beim Thema Kollaboration einige gute Learnings mit in die Zukunft nehmen werden.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
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