Bei der Entwicklung des Elektro-Trucks CitE hat MAN seine Kunden eng mit einbezogen. Bild: MAN Nutzfahrzeuge AG
Fahrzeugproduzent MAN und E-Auto-Hersteller e.GO Mobile haben Entwicklungsprozesse radikal beschleunigt und zeigen, was heute schon möglich ist. Mit veränderten Arbeitsweisen und Entscheidungsprozesse hin zu mehr Flexibilität wie auch Kundenorientierung in der Produktentwicklung, orientieren sie sich damit zunehmend an der Softwarebranche.
Vier Jahre von der Idee zur Serienreife – für Autobauer ist ein solcher „Sprint“ eigentlich undenkbar. Bis ein neues Modell den Weg aus Entwicklerbüros und Werkhallen auf die Straße bewältigt hat, dauert es normalerweise mehr als doppelt so lange. Entsprechend groß war die Aufmerksamkeit, als der e.GO Life nach eben jenen vier Jahren Entwicklungszeit Anfang Mai erstmals ausgeliefert wurde.
Wie sich ein vermeintlich schwergängiger Entwicklungsprozess radikal beschleunigen lässt, haben sich die Macher des an der RWTH Aachen entwickelten Elektro-Flitzers von der Softwareentwicklung abgeschaut. Agile Produktentwicklung heißt das Konzept, das in der Softwarebranche längst Standard geworden ist. Es basiert zum einen auf der Einbindung des Kunden, dem schon in einem frühen Stadium der Entwicklung die Möglichkeit gegeben wird, mit dem Produkt zu arbeiten. Seine Erfahrungen fließen zurück an die Entwickler, die dieses Feedback in ihre weitere Produktgestaltung einfließen lassen können.
Agile Produktentwicklung heißt zum anderen aber auch, Entscheidungen stärker in einem gemeinsamen Prozess zu treffen, als es in klassischen Entwicklungsprozessen der Fall ist. Oft wird in kleineren Teams und überschaubaren Zeiteinheiten gearbeitet, wobei die eigenen Ergebnisse in kurzen Abständen immer wieder überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Im Fall des e.GO hat sich dieser Baustein der agilen Produktentwicklung bewährt.
Auch beim Nutzfahrzeughersteller MAN hat man die Vorzüge der neuen Arbeitsmethode erkannt. Seit 2017 betreibt das Unternehmen an seinem Firmensitz in München die MAN Zukunftswerkstatt, eine innovative Büroumgebung, in die sich Teams aus dem ganzen Unternehmen einen Monat lang zurückziehen können. Unter Anleitung eines Coaches können die Mitarbeiter hier agile Arbeitsmethoden ausprobieren und sich mit neuen Formen der Zusammenarbeit im Team vertraut machen.
„Es muss erlaubt sein Fehler zu machen, zu experimentieren und querzudenken. Dafür braucht es die passende Arbeitsumgebung“, erläutert der MAN-Vorstandsvorsitzende Joachim Drees das Projekt auf der Website des Unternehmens. „Für mich ist besonders wichtig, dass wir eine neue Kultur der Zusammenarbeit etablieren, die von der Start-up Szene inspiriert ist.“
Praktische Anwendung fanden die neuen Konzepte unter anderem bei der Entwicklung des CitE, einem futuristisch anmutenden City-Truck mit Elektroantrieb. Der sei „fast schon ein Gemeinschaftsprojekt“, heißt es bei MAN in Anspielung an die enge Einbindung von Kunden bei der Gestaltung des Trucks. Weniger als zwei Jahre sollte die Entwicklung des CitE nach den Vorstellungen des MAN-Teams dauern – dank der konsequent umgesetzten agilen Arbeitsmethoden wurden es letztlich 18 Monate.
Dass sich gerade Unternehmen aus der Sparte Elektromobilität offen für den neuen Ansatz zeigen, ist kein Zufall. In dieser Branche sieht sich die deutsche Industrie auf dem Weltmarkt besonders starker Konkurrenz gegenüber. „Länder wie China sind einfach schneller und nehmen den deutschen Firmen Marktanteile ab“, sagt Udo Lange, Head Of Engineering & Product Excellence beim Beratungsunternehmen Capgemini. „Deutsche Firmen sind recht gut darin, neue Technologien zu entwickeln, aber nicht besonders gut darin, schnell und marktorientiert zu arbeiten. Genau dieses Defizit versuchen wir, mit dem Thema agile Produktentwicklung zu adressieren.“
Auch Rupert Deger, als Geschäftsführer des European 4.0 Transformation Center und ehemaliger CIO der e.GO Mobile AG hautnah bei der Entwicklung des e.GO dabei, weiß um die Herausforderungen, vor denen viele Unternehmen bei der Integration neuer Entwicklungskonzepte stehen: „Unserer Erfahrung nach sind die meisten Leute etwa in der klassischen automobilen Supply Chain sehr an das wasserfallartige, von der Machtstruktur in der Industrie geprägte Arbeiten gewöhnt.“
Tatsächlich tun sich vor allem größere Unternehmen oft schwer damit, ihre Prozesse hin zu mehr Agilität und Flexibilität zu optimieren. „In Großunternehmen verändert das viele Arbeitsweisen und Entscheidungsprozesse“, sagt Udo Lange. „Deshalb können sie Konzepte wie die agile Produktentwicklung nicht einfach 1:1 übernehmen. In einem kleinen Team tut man sich natürlich leichter, neue Arbeitsmethoden anzuwenden. Uns beschäftigt nun die Frage: Wie können wir diese Erfahrungen übertragen in die Produktentwicklung in Großunternehmen?“
Wie groß das Interesse an neuen, agilen Arbeitsmethoden ist, belegt die Tatsache, dass viele Unternehmen entsprechende Pilotprojekte gestartet haben. Sie wollen Erfahrungen sammeln und herausfinden, wie sie das Prinzip der agilen Produktentwicklung in größere Organisationen überführen können. Erfolgreiche Projekte aus Zukunftsbranchen wie e.GO oder CitE können dabei helfen, indem sie zeigen, was mit agiler Produktentwicklung schon möglich ist.