Digitale Technologien können die Geschäftsmodelle ganzer Branchen in nur wenigen Jahren auf den Kopf stellen. Nur innovative Firmen bleiben auf Dauer wettbewerbsfähig. Grundvoraussetzung dafür ist die richtige Unternehmenskultur. Doch vielen ist unklar, was genau sie verändern müssen.
Mark Twain wusste es schon lange vor der Erfindung des Internets: „Prognosen sind schwierig, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen.“ Im Zeitalter der Digitalisierung hat diese Feststellung nichts von ihrer Gültigkeit verloren, im Gegenteil. Selbst gestandene IT-Größen scheitern mitunter kläglich daran, den digitalen Zeitgeist vorwegzunehmen.
Ex-Microsoft-Chef Steve Ballmer etwa räumte dem iPhone des Konkurrenten Apple Anfang der 2000er-Jahre keinerlei Zukunftsperspektiven ein. Dessen damaliger CEO Steve Jobs belehrte ihn eines Besseren, war aber selbst auch nicht frei von Fehlprognosen. 2003 erklärte er bei der Präsentation einer Windows-Version seines Musikdienstes iTunes, dass Kunden Musik besitzen und nicht gegen eine monatliche Gebühr mieten wollen. Spotify hat diese These eindrucksvoll widerlegt und mit seinem Abo-Modell die Art, wie Menschen Musik hören, auf den Kopf gestellt. Inzwischen versucht Apple, mit einem eigenen Streaming-Dienst den Rückstand auf den schwedischen Marktführer aufzuholen.
Die Beispiele zeigen nicht nur, wie schwer es ist, verlässliche Prognosen zu treffen, sondern sind außerdem auch Beleg dafür, wie die Digitalisierung die Geschäftsmodelle ganzer Branchen in nur wenigen Jahren komplett über den Haufen werfen kann.
Die Botschaft ist klar: Im Zuge des digitalen Wandels müssen sich auch die Unternehmen verändern. Das geht weit über die Entwicklung und Nutzung innovativer Technologien hinaus und schließt die gesamte Kultur eines Unternehmens mit ein. Um zu überleben, müssen Unternehmen heutzutage noch innovativer sein, Fehlentscheidungen rasch abhaken, schnell lernen und sie dürfen keine Angst davor haben, Neues auszuprobieren – auch wenn Rückschläge wahrscheinlich sind.
Viele Firmen stellt das vor große Herausforderungen, wie eine internationale Untersuchung von Capgemini Consulting zeigt. Die Unternehmensberatung befragte 1700 Beschäftigte in 340 Organisationen in acht Ländern, worin sie die größte Hürde beim Wandel hin zu einer digitalen Zukunft sehen. Die Antwort der Mehrheit: in der Veränderung der Unternehmenskultur.
Kulturwandel „ist der Treibstoff des digitalen Wandels“, sagt Ursula Bohn, Head of Embedded Change Management bei Capgemini Consulting. Jene, die die Transformation erfolgreich meistern, haben laut der Beratung zufriedenere Mitarbeiter und sind wirtschaftlich erfolgreicher. Doch vielen Firmen ist unklar, was genau sie anders machen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Aus zahlreichen Gesprächen mit Forschern und Experten von digitalen Vorreitern wie Google, IBM oder SAP hat Capgemini ermittelt, wie eine erfolgreiche Unternehmenskultur im Zeitalter der Digitalisierung aussehen muss und diese in acht Dimensionen unterteilt.
In Organisationen die den digitalen Wandel erfolgreich meistern, wird die Kultur wie eine strategische Aufgabe gehandhabt. 80 Prozent dieser Vorreiter haben laut Untersuchung eine klare Digitalisierungsstrategie. Bei den Nachzüglern sind es nur halb so viele. Sie machen zudem häufig den Fehler und fokussieren sich hauptsächlich auf das Einführen neuer Rollen, während die Googles, Facebooks und Ubers ihre gesamten organisatorischen Prozesse anpassen oder gleich von Anfang an anders gestalten. Zudem werden dort Innovationsbereiche eingeführt, die für eine sichere Lernumgebung sorgen, um neue Rollen, Prozesse und Technologien zu testen, bevor diese im gesamten Unternehmen zum Einsatz kommen.
Digitale Vorreiter stellen die Mitarbeiter und die Bildung einer Kultur des Vertrauens in den Mittelpunkt ihrer Transformation. Dieses Umfeld erlaubt den Angestellten, sich auszuprobieren und zu lernen. Dabei ist es unerlässlich, dass die oberste Führungsebene sich miteinbezieht und engagiert. In 80 Prozent der von Capgemini befragten Unternehmen ist der CEO für die Transformation verantwortlich. Das können nur zehn Prozent der Organisationen von sich behaupten, die digitalen Nachholbedarf haben. Das Engagement auf der obersten Führungsebene kann neben dem CEO zum Beispiel auch durch die Installation eines Digital-Chefs (CDO) vorangetrieben werden.
„Wir raten Kunden dazu, nicht zu versuchen, alles auf einmal zu ändern, sondern diejenigen Dimensionen auszuwählen, die entweder den größten Einfluss haben, am besten zur Organisations-DNA passen oder die höchste Dringlichkeit haben“, sagt Christin Käppler, Head of Organizational Agility & Innovation bei Capgemini Consulting. Nachdem die jeweiligen Bereiche ausgewählt wurden, könnten dann spezifische Maßnahmen angewendet werden und der Kulturwandel beginnen.
Diesem Rat sind auch die vier Eon-Töchter Bayernwerk, Avacon, Edis und Hansewerk gefolgt. Ihr Ziel: In einem gemeinsamen Projekt den Verbraucher in den Mittelpunkt ihres Handels zu stellen und die digitale Kultur voranzutreiben. Die Einführung neuer Technologien lief dabei Hand in Hand mit einer Verbesserung des Verständnisses für digitale Veränderungen. Mit Unterstützung der externen Berater konzentrierten sich die vier Energiedienstleister auf die Dimensionen „Innovation und Lernen“, „Kundenorientierung“, und „Zusammenarbeit“.
20 junge Angestellte, Trainees und Digital Natives entwickelten hierzu eine Trainings-App, mit deren Hilfe zeitgemäße Fertigkeiten vermittelt werden. Sie agierten darüber hinaus als Botschafter innerhalb ihrer Teams, um den neuen Spirit in die Unternehmen zu tragen. Gleichzeitig wurden Kunden früh in den Transformationsprozess der vier Eon-Töchter involviert.
Ein Team von 70 Mitarbeitern entwickelte Webseiten, die mit Hilfe der Kunden auf deren Bedürfnisse zugeschnitten wurden. So entstanden optimierte Kanäle für den Kundenservice wie etwa ein Web-Chat. Schließlich wurde auch die Zusammenarbeit der einzelnen Abteilungen und Niederlassungen angepackt. Hierzu wurden interdisziplinäre Teams gebildet, in denen zum Beispiel IT-Fachleute auf Manager trafen. Das bildete das Fundament für die Einführung neuer Prozesse, wie etwa einem digitalen Kunden-Erlebnis.
Künstliche Intelligenz entschlüsselt
KI-Experten von Google, IBM Watson, Volvo, Microsoft sowie Forscher des MIT und der Universität Oxford räumen mit Mythen auf und verdeutlichen das Potenzial der wegweisenden Technologie
Auch Siemens hat den digitalen Kulturwandel angestoßen. Innerhalb des Supply Chain Managements des Konzerns wurde das Projekt „Boost Digitalization@SCM“ für die dortigen Führungskräfte gestartet, die sodann den Menschen selbst als kritischen Erfolgsfaktor für den digitalen Wandel ausmachten. Ein Team aus SCM- und HR-Mitarbeitern sowie Beratern von Capgemini entwickelte daraufhin den Workshop-Prototypen #Digital-Leader, der 2017 offiziell vorgestellt wurde. Die Grundidee: Führungskräfte sollen sich zum einen mit Themen wie „Definition eines Digital Leaders“, zum anderen mit neuen Lernformaten und -methoden wie „Micro Learning“ und „Mentimeter“ vertraut machen und daraus persönliche Aktionspläne schmieden.
Inzwischen wird „#Digital Leader“ auch von anderen Unternehmensbereichen übernommen und ist zu einer eigenen Marke innerhalb der Siemens-Welt geworden. Neben dem Erfolg bleibt die klare Erkenntnis, dass ein Kulturwandel nicht von heute auf morgen kommt. Dennoch lohnt sich diese Reise nicht nur, sie ist auch unverzichtbar für alle Organisationen, die erfolgreich die digitale Transformation schaffen wollen.